Die Wegwarte - Cichorium intybus

Aktuell leuchten sie überall an Wegrändern und Grünstreifen hervor: die wunderschönen Blüten der Wegwarte, die mit ihrem ganz besonderen Himmelblau sofort ins Auge stechen. Doch geht man den gleichen Weg einige Stunden später, ist es, als wären sie nie dort gewesen, und zurück bleiben nur die unscheinbaren Stängel. Denn die Blüten der Wegwarte sind in unseren Breiten ausschließlich vormittags geöffnet und schließen sich oft ab circa mittags wieder. Dieser Tatsache verdankt es die Wegwarte, dass sie immer schon stark mit der Sonne in Verbindung gebracht wurde. Und auch ihren Platz in der Sonnenuhr des bekannten Botanikers Carl von Linnè in Uppsala hat sie sich mit dieser Eigenschaft verdient: ihm fiel auf, dass bestimmte Pflanzenblüten sich zu gewissen Uhrzeiten öffnen und schließen. Pflanzt man diese Pflanzen dann in der entsprechenden Reihenfolge im Kreis, kann man an der „Blumenuhr“ den Stand der Sonne und damit die Uhrzeit ablesen. Dieses „lebende Zifferblatt“ begann Linné mit der Wegwarte an erster Position, denn sie öffnet sich morgens – abhängig von Klima, Jahreszeit und geographischen Bedingungen – schon zwischen vier und fünf Uhr, um sich dann zwischen zehn und zwölf Uhr mittags wieder zu schließen.

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Die Wegwarte ist zweijährig und kann mehr als 1 m groß werden. Im ersten Jahr bildet sie zuerst Wurzel und Blattrosette aus – ein Stadium, in dem sie dem Löwenzahn interessanterweise zum Verwechseln ähnlich sieht. Im zweiten Jahr erscheinen dann ab dem frühen Sommer die auffälligen blauen Blüten. Zum Ende des Sommers hin bildet sie 2–3 mm große Samenstände, die gerne an vorbeistreifenden Tieren haften bleiben und sich so verbreiten.

Finden kann man die Wegwarte – wie es ihr Name schon sagt – an vielen Weg- und Ackerrändern, auf Schuttplätzen oder an den Seitenstreifen der Autobahnen. Sie ist dementsprechend zäh und stellt wenig Anforderungen an die Bodenqualität – nur sonnig möchte sie es gerne.

Ihre Wurzel ist es, die sie als Kaffeealternative bekannt gemacht hat: diese kann man rösten und mahlen und erhält so einen schmackhaften koffeinlosen Kaffeeersatz, der aufgrund der Bitterstoffe zudem noch bekömmlich ist. Mit ihren tonisierenden Bitterstoffen wie Inulin und Pentosane kann sie schwach appetitanregend und gallenflussfördernd wirken und wird daher immer schon in Form von beispielsweise Tees und Tinkturen verwendet.

Um die Wegwarte ranken sich zahlreiche schöne Sagen und Legenden, denn sie hat seit jeher die Fantasie der Menschen beflügelt. Den ersten schriftlichen Hinweis auf die Wegwarte finden wir beispielsweise schon in einem ägyptischen Text, und während der gesamten Antike und auch bei den Germanen war sie eine beliebte Pflanze. Noch aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind uns Bräuche und Rituale zur Wegwarte erhalten geblieben, und während der Epoche der Romantik entstand eine regelrechte Faszination um die „Blaue Blume“ und ihre Anziehungskraft. Bekannt ist auch das Gedicht „Wegewart“ von Julius Wolff, das eine der bekanntesten Sagen um die Wegwarte aufgreift: hier erscheint sie als traurige Jungfrau, die am Wegesrand vergeblich und unermüdlich auf ihren Liebsten wartet – so lange, dass sie schließlich wortwörtlich Wurzeln schlägt. So ist die Wegwarte eine altbekannte Begleiterin der Reisenden und Wandernden an Wegen und Straßenrändern geworden.

Die Wegwarte ist eine mythologisch bedeutsame Pflanze, deren Sagenwelt immer wieder die Themen Liebe, Treue, Verwandlung, unermüdliches Warten umkreist. Seit Jahrtausenden ist sie eine heilkräftige Begleiterin und Seelenpflanze der Menschen und inspiriert sie mit ihren schönen Blüten, die sie nach Mittag wieder schließt, und ihrer Anwesenheit an Wegrändern und anderen, vermeintlich kargen Orten. Zuletzt ist sie etwas in Vergessenheit geraten. Nicht zuletzt ihre Verwendung als bekömmlicher Kaffeeersatz und ihre Wahl zur Heilpflanze des Jahres 2020 führten aber dazu, dass sie sich heutzutage wieder größerer Beliebtheit und Bekanntheit erfreut.

Verbringt man an einem schönen Sommervormittag etwas Zeit mit ihr, fällt es gar nicht schwer, ihre wunderbare Wirkung auf die Seele wahrzunehmen, so leicht, strahlend und sonnig mutet sie an – eine wirklich besondere Pflanzenschönheit.

Quelle: dies ist ein Gastbeitrag von unserer lieben Kräuterpädagogin Kathrin - herzlichen Dank, liebe Kathrin, für diesen wunderbaren Beitrag!

Kosan

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