Das Märzchen

Langsam aber sicher hört, sieht und spürt man die Rückkehr des Frühlings. Die Tage sind sichtlich länger, die Vögel zwitschern fröhlich, die ersten Frühblüher strecken ihr Köpfchen empor, die Sonnenstrahlen fühlen sich wohlig an. Nicht nur die Natur, sondern auch wir Menschen verlassen immer öfters unsere „Höhle“, um diese Rückkehr willkommen zu heißen.

Hierzulande ist das Märzchen unbekannt. In Rumänien, meinem Heimatland oder auch in Bulgarien, Moldawien und Griechenland ist es ein Frühlingsbote. Das Märzchen ist ein kleiner Glücksbringer, den man Kindern, vor allem aber Mädchen und Frauen am 1. März schenkt. Der Anhänger wird an einer rot-weißen Schnur befestigt und auf der linken Brustseite, nahe dem Herzen, mit einer Sicherheitsnadel angebracht. Ende März kann man das Märzchen am Ast eines Obstbaums anhängen und sich etwas wünschen.

Nach meiner Aussiedlung verlor ich diesen Brauch aus den Augen, in Vergessenheit geriet er dennoch nicht. Gerne erinnere ich mich an diese Zeit zurück. In der letzten Februarwoche wurde es in meiner Heimatstadt, Klausenburg, sehr geschäftig. (Hobby)Künstler und Verkäufer stellten überall ihre Stände auf und präsentierten ihre Ware. Ich weiß noch, wie ich nach der Schule alle Stände abklapperte, um für meine Mutter das schönste Märzchen zu ergattern. Die Auswahl war riesig - Blumen in verschiedenen Farben, Kleeblätter, bunte Federschmetterlinge, Hufeisen, Katzen, Hunde, Glücksschweinchen, Kaminkehrer, Pfaue und sonstige Figuren aus Metall oder Glas mit oder ohne Glitzersteinchen. Es war ein Spektakel. Und zwischendrin ein Mütterchen mit gebundenen Schneeglöckchensträußchen.

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Die Abende davor saß ich mit meiner Schwester am Tisch, um die Märzchen der letzten Jahre zu begutachten und die Schnüre zu entwirren. Wir suchten welche aus, tackerten die rot-weiße Schnur an Karteikarten und schrieben kurze Frühlingsgedichte auf. Diese schenkten wir am 1. März unseren Lehrerinnen und Freundinnen. Die Freude war groß, wenn auch wir Märzchen bekamen. Die „wertvollsten“ waren natürlich die, die uns Jungs schenkten. Mit einem ganzen Bündel Märzchen, stolzierten wir wie Pfaue, die nächsten Tage über die Schulgänge und Straßen.

Erst die letzten Jahre interessierte mich der Ursprung dieses Brauches. Ich war ziemlich erstaunt als ich erfuhr, dass diese Tradition bis in die Antike zurückverfolgt werden kann. Es wird vermutet, dass dieser Brauch von den Thrakern (5. -3. Jahrhundert v. Chr.) stammt, die sich an den Kalender des römischen Reiches (8. Jahrhundert v. Chr. – 7. Jahrhundert n. Chr.) richteten. „Die Ursprungsversion [des Kalenders] umfasste nur 10 Monate und orientierte sich an den Grundlagen der römischen Gesellschaft: an der Landwirtschaft und an religiöse Ritualen. Der 304 Tage lange Kalender begann mit dem März – Martius –, der nach dem römischen Kriegsgott Mars benannt war. Er endete mit dem Dezember – dem Erntemonat in Rom und Umgebung.“ Der 1. März galt demnach als Jahres- und Frühlingsbeginn.

Ursprünglich spannten Frauen einen roten und einen weißen Faden aus Schafs­wolle, die sie den Män­nern schenk­ten. Diese wurden um das Hand­ge­lenk gebunden, damit sie ihnen Stärke und Gesundheit fürs neue Jahr brachten. Viele Bräuche ändern sich über die Zeit, so auch dieser. Die Freude die man beim Schenken der kleinen Glücksbringer empfindet, überdauerte dennoch unverändert ein paar Jahrhunderte .

Eine Legende des Märzchens will noch zum Schluss erzählt werden:

Die Sonne sah vom Himmel herab auf die Erde. Sie beobachtete die Menschen, wenn sie ausgelassen tanzten und sangen und sich ihres Lebens freuten. Eines Tages fand ein Dorffest statt, das sie nicht verpassen wollte. Sie ging unter und nahm die Gestalt eines hübschen Jünglings an. Er genoss die Gesellschaft der Dorfbewohner und feierte mit. Plötzlich erschien ein gehässiger Troll. Er packte den Jüngling und brachte ihn zu einem entlegenen Turm, wo er ihn einkerkerte. Die Welt war nun von der Dunkelheit umgeben. Die Vögel sangen nicht mehr, die Flüsse und Bäche plätscherten nicht mehr und die Kinder lachten auch nicht mehr. Alle Menschen lebten in Angst und Bange vor dem Troll. Doch eines Tages erwachte der Mut eines jungen Mannes, namens Marzischor. Er war es überdrüssig ein Leben in Kälte und Dunkelheit zu führen. So machte er sich auf eine lange Reise. Er durchquerte den Sommer, den Herbst und den Winter und kam endlich am Turm des bösen Trolls an. Dort forderte er diesen zum Kampf heraus. Sie kämpften wahrscheinlich drei Tage und drei Nächte. Marzischor besiegte den Troll und befreite die Sonne. Die Welt war gerettet. Leider war unser Held schwer verwundet. Sein Blut tropfte auf den weißen Schnee. Die Legende besagt, dass aus jedem verlorenen Blutstropfen ein schneeweißes Glöckchen der Erde entsprang. Seit dem Tag mischte sich die Sonne nie wieder unter das Volk. Die Menschen aber freuten sich wieder über ein Leben im Licht. Dieser Tag wird von ihnen als erster Frühlingstag gefeiert. Ein roter und weißer Faden verwoben, wird an lieben Menschen verschenkt, um an den Sieg über die Dunkelheit zu erinnern.

Eure Herbahex

Ein Gastbeitrag von unserer lieben Kräuterpädagogin Karla alias Herbahex. Danke dir von Herzen, liebe Karla. Was für ein wunderschöner Brauch...aktuelle Termine in unserer Kräuterwerkstatt für Familien mit unserer lieben Karla findet ihr HIER

Kosan

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